Gerade sitze ich im Bett, es ist früh, aber nicht so früh wie ihr vielleicht denkt und ich höre meinen Sohn vor sich hin brabbeln, der mit meinem Freund im Wohnzimmer ist. Ich bin nach oben gegangen, um noch eine Stunde zu schlafen, aber wie so oft gelingt mir das nicht. Zu viele Gedanken kreisen in meinem Kopf und auf Kommando einschlafen zählt leider nicht zu meinen Superpowers. Außerdem genieße ich diese Zeitinseln, die nur mir gehören und die jetzt natürlich deutlich seltener geworden sind.
Aber der Reihe nach. Mein Kind habe ich vor ziemlich genau acht Wochen auf die Welt gebracht und seitdem ist das Leben von mir und meinem Freund nicht mehr dasselbe. Meine Erfahrungen und Gedanken dazu möchte ich gern in diesem Text dokumentieren. Ich hoffe, dass es mir gelingt, das teilweise Chaos in meinem Kopf und in meiner Gefühlslandschaft in einen einigermaßen strukturierten Text zu überführen. Damit möchte ich zum einen Menschen, die ein Wochenbett nicht selbst erlebt haben, (m)einen Einblick vermitteln und zum anderen denjenigen, die gerade selbst im Wochenbett sind oder denen es bevorsteht, das Gefühl geben: Ihr seid nicht allein mit all dem.
Disclaimer: Dieser Bericht bezieht sich auf das Wochenbett mit meinem ersten Kind. Es ist (m)ein Erfahrungsbericht, der nicht zu pauschalisieren ist und beispielsweise sicher auch anders ausfallen würde, wenn es schon ein älteres Geschwisterkind geben würde.
Was ist überhaupt das Wochenbett? Nachgeschlagen handelt es sich hierbei um den “Zeitraum von 6 bis 8 Wochen nach der Entbindung*, in dem es zur Rückbildung der durch die Schwangerschaft und Geburt am weiblichen Körper hervorgerufenen Veränderungen kommt.”
Im Vorfeld auf mein eigenes Wochenbett habe ich mehrheitlich folgende Dinge gehört: Schlafmangel (auf die eins), Geburtsverletzungen, wunde Brustwarzen bis hin zu Depressionen. Etwas seltener kam es vor, dass Eltern positiv von ihrem Wochenbett berichteten: Als eine Zeit, die gleichermaßen langsam und schnell vergeht, als eine magische, einzigartige Kennlernphase. Ich versuchte, all diese Erfahrungen aufzunehmen, jedoch nicht so nah an mich heranzulassen, denn klar, jedes Wochenbett ist anders und wird ebenso unterschiedlich wahrgenommen. Ich hatte also Respekt vor der Zeit, aber keine Angst.
Vor der Geburt sind mein Freund und ich noch einmal ein paar Tage verreist. Umgeben von Natur haben wir uns an einem Nachmittag Gedanken über die Wochen nach der Geburt unseres ersten Kindes gemacht. Wir haben unsere Wünsche und Sorgen jede*r für sich formuliert und dann miteinander geteilt. Wir haben aufgeschrieben, welche Personen aus unserem Umfeld uns unterstützen können (Anfragen gab es glücklicherweise schon vorab), wie wir uns gegenseitig helfen können und darüber geredet, was wir gerne essen und trinken möchten. Uns war klar, dass nicht alle dieser formulierten Vorstellungen eintreten werden, jedoch war es für mich ein hilfreiches Ritual, um sich auf etwas vorzubereiten, das man sich bis dato noch gar nicht richtig vorstellen kann. Wenn ihr euch auch aufs Wochenbett vorbereiten möchtet, könnt ihr gern unser kostenloses Tool dafür verwenden.
Für mich bzw. uns stand von Beginn an fest, dass wir uns einen schönen, weichen, wohlig wattierten Kokon mit Baby bauen möchten. Mein Freund hat sich aus diesem Grund für acht Wochen von der Arbeit abgemeldet und zum Beispiel auch von Social Media, um sich voll und ganz auf die neue Situation im Hier und Jetzt zu konzentrieren. Bevor wir selbst die Erfahrung gemacht haben, hätte ich gedacht, dass der Fokus im Wochenbett viel mehr auf dem Kind liegt. Stattdessen sind wir gut damit gefahren, auch meine Genesung und Rückbildung zu priorisieren. Dabei hat uns vor allen Dingen auch die Hebamme immer wieder daran erinnert, was ich mit der Geburt geleistet habe. Als ich sie nach zehn Tagen – sichtlich unruhig – gefragt habe, wann ich denn mal wieder rausgehen dürfe, hat sie mich daran erinnert, dass es in einer leistungsorientierten Gesellschaft durchaus schwer ist, vor allem für Frauen, mal alle viere gerade sein zu lassen. Und dass es keinen besseren Zeitpunkt gibt, als das Wochenbett, um als Frau auch einfach mal faul zu sein. Vor allen Dingen die Gleichzeitigkeit der Aufgaben (insbesondere bei der Frau) spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle: Nicht alle haben eine “reibungslose” Geburt, von der sie erst einmal heilen müssen, sowohl körperlich als auch psychisch. Gleichzeitig stellt sich der Körper auf Milchproduktion um, die Rückbildung der Gebärmutter findet statt, man ist nach langer Zeit “auf einmal” nicht mehr schwanger und dann nimmt man neue Rollen ein, ist plötzlich Mutter, aber irgendwie auch noch man selbst, Partnerin, Freundin, Tochter – auch, wenn das erst einmal in den Hintergrund rückt. Viel los also!
Ich habe mir im Vorfeld auf das Wochenbett vorgenommen, besonders sanft und liebevoll mit mir selbst umzugehen und mich öfter daran zu erinnern, dass meine Gefühle nicht das repräsentieren, was ich bin. Das hat nicht immer funktioniert, aber immer öfter.
Anders wird auch die Beziehung zum Partner: Zweisamkeit ist rar und liebevolle Momente untereinander ergeben sich seltener. Stattdessen steigt das Risiko, die eigene Gereiztheit am anderen auszulassen. Der Corona-Spruch von Jens Spahn: “Wir werden uns in Zukunft viel verzeihen müssen” trifft also auch auf das Wochenbett zu. Mein Partner und ich haben trotz allem immer versucht, uns mehrmals am Tag liebevoll zu umarmen, uns gegenseitig gut zuzureden und Fans voneinander zu bleiben. Es hat uns geholfen, sich zu vergegenwärtigen, dass wir im selben Boot sitzen und wir beide unser Bestes geben. Außerdem haben wir uns gegenseitig häufig gefragt, was ein schöner Moment an diesem Tag war und uns dann davon erzählt.
Eine positive Grundhaltung ist in jedem Fall nicht immer leicht aufrecht zu erhalten, sie kann die Zeit im Wochenbett jedoch enorm verbessern. Mir hat geholfen, dass meine Freundin und Doula Saskia mir nahezu täglich geschrieben hat, was heute leicht und was schwer war. Eine solche Alltags-Reflektion hilft dabei, für einen Moment aus der Situation zu treten und das „Größere, Ganze“ zu sehen. Was auch immer das sein mag.
Eine Sache, die ich zwar rational wusste, aber definitiv unterschätzt habe, ist die Zeit, die man nur für sich hat. Ich hatte ziemlich schnell nach der Geburt das Bedürfnis, einfach mal für mich zu sein. Im ersten Moment habe ich mich deshalb sogar ein bisschen schlecht gefühlt. Im Grunde bin ich jedoch einfach eine Person, die gern auch mal nur mit sich selbst Zeit verbringt – wieso sollte dieser Charakterzug mit der Geburt und dem danach, dass damit einhergeht, sehr viel Zeit mit einem Baby auf oder bei sich, plötzlich verschwinden? Ich erinnere mich noch an das überragende Gefühl der ersten „Me-time“: Ich machte mir im Badezimmer laut Musik an und huldigte mit einer ausgiebigen Dusche, Peeling und Cremes meinen Körper aka Tempel, auf den ich bis dato nie stolzer war. Seitdem räume ich mir auch Zeit für mich selbst ein und (eigentlich wie bei allem, was ich hier schreibe) klappt es mal mehr und mal weniger. Aber immer wenn es klappt, ist es eine große Energiequelle für mich.
Das bringt mich zum nächsten Punkt: ich habe letztens auf Instagram gelesen: Wenn zu viel Druck da ist: Druck rausnehmen. Das ist natürlich nicht immer möglich, lässt mich jedoch hinterfragen, welchen Stress ich mir selbst mache. Wo sind möglicherweise meine eigenen Ansprüche zu hoch, wo kann ich runterschrauben, also selbst Druck rausnehmen? Oft habe ich mich gestresst gefühlt, weil ich mir mehr vorgenommen habe, als ich schaffen konnte. Das ist übrigens kein unbekanntes Phänomen, jedoch eines, was mit begrenzteren Ressourcen durch Baby stärker zu Tage kommt.
Ein Gamechanger für uns war es, unser Wochenbett von Anfang an für sehr vertraute Personen zu öffnen, die uns in unserem kokon den Rücken frei hielten. Das waren vor allem unsere Eltern. Wir haben im Vorfeld schon kommuniziert, dass wir uns das gut vorstellen können und es ausprobieren wollen, denn natürlich ist manchmal Vorstellung und reales Gefühl nicht dasselbe. Wir konnten aber super gut mit unseren Eltern kommunizieren und unsere Wünsche und Vorstellungen fanden Beachtung, sodass ihre (temporäre) Anwesenheit aus praktischen Gründen und aus mentaler Perspektive eine Bereicherung war. Ich verstehe aber jetzt besser, weshalb es im Wochenbett noch einmal schwieriger sein kann, Hilfe anzunehmen: Man ist SO verletzlich! Neue, ungewohnte Situation, alles richtig machen wollend, dabei selbst noch körperlich bzw. seelisch verletzt bzw am heilen. Es ist nicht leicht, da anderen die Tür zu öffnen, kann aber – bei einem einfühlsamen gegenüber – eine große Entlastung sein. Ihr seid nicht allein!
Abschließend möchte ich noch zwei Dinge festhalten. Das Wochenbett ist offensichtlich eine Möglichkeit, jede Menge über Babys, vor allen Dingen über euer Baby zu lernen. Es ist jedoch auch eine Spielwiese, um sich selbst von einer ganz neuen Seite kennenzulernen! Dabei hat mir geholfen, möglichst wertfrei auf meine neuen Charakterzüge zu schauen, – wohlwissend, dass auch manches davon nicht für immer bleibt. Sich selbst als Beobachterin und Entdeckerin dieser neuen Zeit zu begreifen, hat das Wochenbett für mich reicher gemacht.
Und Last but Not least möchte ich noch einmal auf das Zitat vom Anfang eingehen: Klar, das Wochenbett ist sicherlich die Zeit nach der Geburt, die zur Rückbildung bei der Person, die gebärt hat, dient. Wobei zum einen der Begriff Rückbildung impliziert, dass nach 6-8 Wochen alles wieder beim alten, also wie vor der Schwangerschaft ist, was in der Mehrheit der Fälle nicht zutrifft. Außerdem betrifft diese „Rückbildung“ nicht nur allein die körperlichen Veränderungen, die (meiner Meinung nach) krasseren Veränderungen finden auf emotionaler Ebene statt. Letzteres gilt im übrigen auch für den Partner/Mann, der ebenfalls einen enormen Umbruch seiner Lebenssituation erlebt, der sich ebenfalls in eine neue Rolle einfindet und hierfür genauso Zeit, Zuspruch und Trost vertragen kann.